1945: Chaos – Ende – Neubeginn. Die Ereignisse
März 1945
29. März 1945 (Gründonnerstag):
Die Rote Armee erreicht die Grenze des ehemaligen Österreich bei Klostermarienberg. Einheiten der 6. Garde-Panzerarmee überschreiten sie um 11:05 Uhr kampflos. Die Truppen sind Teil der 3. Ukrainischen Front unter Marschall Fjodor Tolbuchin.
30. März 1945:
Letzter US-Luftangriff auf Wr. Neustadt
31. März 1945:
Die Sowjets nehmen Mattersburg im Burgenland ein. Auch Edlitz und Grimmenstein in Niederösterreich sind in sowjetischer Hand.

Sowjetische Infanterie auf dem Vormarsch. Niederösterreich Ende März/Anfang April 1945.
April 1945
1. April 1945:
Sowjets in Gloggnitz
2. April 1945:
Die Rote Armee nimmt Wr. Neustadt ein (in einem Kampftag) – von ehemals 45.000 Einwohnerinnen und Einwohnern sind nur 900 in der Stadt verblieben. Zusätzlich halten sich noch 350 Fremdarbeiterinnen und Fremdarbeiter und 200 internierte Jüdinnen und Juden in der Stadt auf.
Wr. Neustadt ist die am stärksten zerstörte Stadt Österreichs: Von August 1943 bis April 1945 waren rund 56.600 Bomben unterschiedlichsten Kalibers abgeworfen worden. Von 4.196 Gebäuden sind 1.060 total zerstört und 1.450 schwer oder mittelschwer beschädigt. Bis September 1946 werden 30.000 Tonnen Schutt weggeräumt werden.

Frauen beim Abbau eines Schuttberges, Wr. Neustadt 1945.
3. bis 7. April 1945:
Westumfassung Wiens umgesetzt
3. April 1945:
Die Rote Armee ist in Baden. Dieses wird in der Folge zum Hauptquartier der Sowjetarmee für die zentrale Gruppe der Streitkräfte (Österreich/Ungarn) ausgebaut (bis 1955).
3. April 1945:
Karl Renner, erster Staatskanzler der Ersten Republik und sozialdemokratischer Politiker, geht zur sowjetischen Kommandantur in Gloggnitz und bietet seine Dienste bei der Wiederherstellung der Republik an. Die Bildung einer provisorischen Regierung war von Anfang an Renners Ziel.
Er wird nach Köttlach verwiesen und begibt sich am selben Tag dorthin. Er wird freundlich behandelt und eingeladen, dort zu übernachten. Ein „Angebot“, das er nicht ablehnen kann.
4. April 1945:
Die Sowjets erreichen Mödling.
4. April 1945:
Stalin ist in Moskau: „Renner, der alte Verräter“ oder auch „der alte Fuchs“. Um 19:30 Uhr ergeht ein Telegramm Stalins an die Heeresgruppe: „Renner ist Vertrauen zu erweisen.“
5. April 1945:
Karl Renner wird nach Hochwolkersdorf (sowjet. Hauptquartier) gebracht und von Generaloberst Želtov und anderen empfangen – Renner soll einen Maßnahmenplan erstellen.

Einheiten der Roten Armee auf dem Weg nach Wien. Ein Flussbett wurde zugeschüttet, die Truppe kann queren.
5. April 1945:
Die Rote Armee überschreitet die Wiener Stadtgrenze im Süden.
6. April 1945:
Leopold Figl wird aus dem Landesgerichtgefängnis entlassen – er saß in einer Zelle, die mit V gekennzeichnet war – Volksgerichtshof (im Gefängnisjargon: „Köpfler“ – also „Kandidaten zum Köpfen"). Nach seiner Freilassung geht Figl in den Stephansdom beten. Er hat fast sechs Jahre in NS-Kerkern und KZs überlebt.
6. April 1945:
Massaker von Stein. In der Haftanstalt Stein werden 229 bereits entlassene, zumeist politische, Häftlinge sowie der Anstaltsleiter und drei Mitarbeiter von SS- Wehrmachts- und Volkssturmeinheiten erschossen. Bis 7. April 1945 kommt es zur „Kremser Hasenjagd“ – weitere 270 bereits entlassene Häftlinge werden im Raum Krems gestellt und ermordet.
8. April 1945:
Tulln fällt am Abend an die Sowjets – die Wehrmacht räumt die Stadt nach schweren Kämpfen – Deutsche sprengen die Brücken.

Sowjetischer Aufruf „An die Bevölkerung Österreichs“, April 1945.
9. April 1945:
Oberst Piterskij nimmt Renner mit nach Schloss Eichbüchl – dort verfasst er Konzepte zur Wiedererrichtung der Republik.
9. auf 10. April 1945:
Die Wehrmacht räumt die Innenbezirke und zieht sich über den Donaukanal zurück. Sämtliche Brücken werden gesprengt.
12. April 1945:
Die KPÖ-Granden Johann Koplenig und Ernst Fischer werden aus Moskau eingeflogen.
12. April 1945:
Die Sowjets holen Leopold Figl (CSP/ÖVP) aus seiner Wohnung und bringen ihn zu Marschall Tolbuchin ins Palais Auersperg: Figl soll Wien mit Lebensmitteln versorgen und den Anbau sicherstellen (auch Koplenig ist dabei).
13. April 1945:
Theodor Körner (SDAP/SPÖ) wird als Bürgermeister von Wien vorgeschlagen, mit Leopold Kunschak (CSP/ÖVP) und Karl Steinhard (KPÖ) als Stellvertreter.
13. April 1945:
Abends ist Wien gefallen. Die Sowjets stehen am Südufer der Donau. Zur Gänze ist Wien erst am 15. April von den Sowjets eingenommen.

Blick auf Wien, Frühsommer 1945. Die zerstörten Brücken sind deutlich zu erkennen.
13. April 1945:
12 führende Angehörige der Widerstandsgruppe Kirchl-Trauttmansdorff werden in St. Pölten hingerichtet. Die Gruppe wollte St. Pölten ohne Blutvergießen an die Sowjets übergeben. Zwei Tage später erobert die Rote Armee St. Pölten.
13. und 14. April 1945:
Figl nimmt mit Mitstreitern die Bauernbundzentrale in der Schenkenstraße in Besitz. Sie ziehen die rot-weiß-rote und grüne Bauernbundfahne auf.
14. April 1945:
Gründung der SPÖ im Wiener Rathaus (Roter Salon)
14. April 1945:
Der Arbeiter- und Angestelltenbund (ÖAAB) wird gegründet.
14. April 1945:
Figl geht zum NÖ Landhaus in der Herrengasse und trifft am Weg Oskar Helmer (SPÖ), der auch dorthin will. Beide begeben sich ins teilzerstörte Landhaus und treffen dort Beamte, die sich zur Verfügung stellen. Die erste Besprechung findet statt.
14. auf 15. April 1945 nachts:
Erste Vortrupps der Roten Armee dringen in St. Pölten ein.
15. April 1945:
Die Deutsche Wehrmacht setzt sich aus Wiener Bezirken nördlich der Donau ab.
15. April 1945:
Sowjets nehmen St. Pölten ein – um 9:00 Uhr stehen sie von Osten kommend am Neugebäudeplatz, um 12:00 Uhr ist der Kampf entschieden. „Russen“ kontrollieren St. Pölten, letzte Kämpfe finden am städtischen Friedhof zwischen den Grabsteinen statt.
Stalin lässt in Moskau Salut schießen.
15. April 1945:
Die letzten der fast 8.000 Häftlinge des KZ Melk werden ins Hauptlager Mauthausen oder ins Außenlager Ebensee gebracht (Lastwägen, Zug, Schiff). Evakuierung durch SS ab Anfang April
16. April 1945:
Figl und Helmer skizzieren im Landhaus den Weg zur Landesregierung. Erste politische Weichenstellungen werden in Aussicht genommen.
17. April 1945:
Gründung der ÖVP im Schottenstift
17. April 1945:
Vertreter von ÖVP und SPÖ wenden sich an die Sowjets mit dem Ersuchen, mit der Wiedererrichtung der NÖ Landesregierung beginnen zu dürfen.
17. April 1945 - 24:00 Uhr:
Stalin gibt grünes Licht für die Bildung einer Staatsregierung: Renners „Vorschlag zur Bildung einer provisorischen Regierung halten wir für annehmbar.“
18. April 1945:
Körner (SPÖ) wird als Bürgermeister von Wien mit Kunschak (ÖVP) und Steinhard (KPÖ) als Stellvertreter angelobt.
18. April 1945:
Den Niederösterreicherinnen und Niederösterreichern wird der Aufbau der Landesregierung erlaubt, sofern ein KPÖ-Politiker eingebunden ist.
19. April 1945:
Karl Renner (SPÖ) reist von Eichbüchl über Baden nach Wien – dort findet die erste Besprechung mit Marschall Tolbuchin statt (der Kommunist Koplenig wurde davor empfangen). Renner erhält von Tolbuchin den Auftrag zur Regierungsbildung. Er soll sich mit Führern der „demokratischen Parteien“ über die Zusammensetzung einigen – Wahlen sollen am Ende stehen.
23. April 1945:
Renner gibt gezwungenermaßen gegenüber den kommunistischen Forderungen nach. Er baut aber Mechanismen ein, um die Macht der KPÖ einzuhegen (Einstimmigkeitsprinzip, Unterstaatssekretäre). Die Struktur der Regierung, die Ressortverteilung und die Kabinettsliste stehen. Die KPÖ ist drittelparitätisch dabei. Karl Renner (SPÖ) fungiert als „Staatskanzler“, Leopold Figl (ÖVP) als einer seiner Stellvertreter.
27. April 1945:
Unabhängigkeitserklärung Österreichs – Wiederbegründung der Republik
29. April 1945:
Die neu konstituierte Regierung wird vom sowjet. Stadtkommandanten feierlich begrüßt.
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Die „Provisorische Staatsregierung“ auf dem Weg in das Parlament. An der Spitze Karl Renner (den Hut schwenkend), hinter ihm in der zweiten Reihe seine Stellvertreter von links nach rechts: Koplenig, Schärf und Figl.
Mai 1945
1. Mai 1945:
Der Befehl an die Wehrmachtseinheiten in Österreich lautet: dem Ostgegner entschieden Widerstand leisten, dem Westgegner nur hinhaltend.
5. Mai 1945:
Das KZ Mauthausen wird von US-Truppen befreit. Von insgesamt 190.000 Häftlingen im Haupt- und in den Nebenlagern waren 90.000 umgekommen bzw. ermordet worden.
Ab. 6. Mai 1945:
Die Deutsche Wehrmacht im Weinviertel zieht sich zurück und löst sich vom Feind.
7. Mai 1945:
Die Wehrmacht südlich der Donau geht auf Mank-Stellung zurück und fließt weiter nach Westen ab.
8. Mai 1945:
Der Waffenstillstand tritt um 23:01 Uhr in Kraft.
Die Rote Armee steht mit 400.000 Mann in Niederösterreich, Burgenland und Wien.

Der US-Generalmajor Stanley Reinhart und der sowjetische Generalmajor Dmitri Dritschkin feiern in Erlauf den in Kraft tretenden Waffenstillstand, Nacht vom 8. auf den 9. Mai 1945.
11. Mai 1945:
Der „Provisorische Landesausschuss für Niederösterreich“ wird formal konstituiert. Niederösterreich hat eine Landesregierung.
12. Mai 1945:
Sowjets billigen den „Provisorischen Landesausschuss“ (4 Landesräte ÖVP, 3 SPÖ, 2 KPÖ).
August 1945
3. August 1945:
Der erste erhalten gebliebene Situationsbericht der Sicherheitsdirektion für das Land Niederösterreich bietet hoch-interessante Einblicke in den Besatzungsalltag, die Stimmung in der Bevölkerung, Morde, Vergewaltigungen und andere Übergriffe durch Sowjetarmee.

Nicht immer ist das Verhältnis zwischen Sowjetsoldaten und Österreicherinnen so entspannt, Greinsfurth 1945.
September 1945
24. bis 26. September 1945:
Die Länderkonferenz im Niederösterreichischen Landhaus in Wien findet statt. Karl Renner kann die Befürchtungen der westlichen Bundesländer, dass er und die Provisorische Staatsregierung Marionetten der Sowjets wären, zerstreuen. Die nicht von der Roten Armee besetzten bzw. befreiten Bundesländer erkennen die Renner-Regierung an. Österreichs Einheit ist gesichert.

Staatskanzler Renner bei der Länderkonferenz im Niederösterreichischen Landhaus, Ende September 1945.
November 1945
25. November 1945:
Erste National- und Landtagswahlen der Zweiten Republik finden statt. Die ÖVP mit Spitzenkandidat Leopold Figl erringt auf Bundeseben die absolute Mehrheit an Mandaten. Stimmenverteilung: ÖVP 49,8 Prozent, SPÖ 44,6 Prozent und KPÖ 5,42 Prozent. ÖVP und SPÖ bilden eine Koalitionsregierung.
19. Dezember 1945:
Der Nationalrat tritt zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Sämtliche Abgeordnete werden angelobt.
20. Dezember 1945:
Der Nationalrat und der Bundesrat wählen Karl Renner (SPÖ) zum Bundespräsidenten. Dieser ernennt Leopold Figl (ÖVP) als Führer der stärksten Partei zum Bundeskanzler. Nach Figls Vorschlägen ernennt Renner alle Minister der Bundesregierung.

Leopold Figl, einige Tage nach seinem Wahlsieg, Dezember 1945. Bald darauf wird der Niederösterreicher als erster Bundeskanzler der Zweiten Republik angelobt werden.