Nationalsozialismus in Niederösterreich
Der Nationalsozialismus in Österreichs größtem Bundesland: anschaulich dokumentiert, umfangreich bebildert und packend erzählt.
Die drei renommierten Historiker Stefan Eminger, Ernst Langthaler und Klaus-Dieter Mulley schrieben ein unverzichtbares Nachschlagwerk über die niederösterreichische NS-Geschichte. Wie wird das Bundesland Niederösterreich zum NS-Reichsgau Niederdonau? Wie übt der Nationalsozialismus seine Herrschaft aus? Wer sind seine Anführer und Unterstützer? Wer wird verfolgt, wer leistet Widerstand? Welche kurz- und langfristigen Veränderungen setzt das NS-Regime in Gang?
Diese und unzählige andere Fragen beantwortet das Buch „Nationalsozialismus in Niederösterreich. Opfer – Täter – Gegner“. In mehr als 40 Kurzbiografien werden „normale wie auch außergewöhnliche Menschen gezeigt, die zwischen Zustimmung, Wegschauen und Ablehnung schwanken, oder die verfolgt werden, sich schuldig machen oder sich auflehnen“.

Stefan Eminger, Ernst Langthaler und Klaus-Dieter Mulley, Nationalsozialismus in Niederösterreich. Opfer – Täter – Gegner. 400 S., etwa 280 Abb. und Fotos, 29,90 Euro. Studienverlag, Innsbruck-Wien 2021.
Portraitiert werden beispielsweise Josef Leopold aus Krems, der erste von Hitler ernannte Gauleiter Niederösterreichs, der St. Pöltener Lungenfacharzt Hugo Jury, Hitlers Vollstrecker in Niederdonau, aber auch Emil Gelny, Arzt und Massenmörder, oder Helene Naber-Binder, BDM-Obergauführerin in Niederdonau. Man liest von Menschen, die nicht weggeschaut, sondern geholfen haben: Maria Grausenburger aus Grafenwörth, die eine ungarisch-jüdische Zwangsarbeiterfamilie versteckt hat; Helene Luckinger überlebte den ersten alliierten Bombenangriff auf Wiener Neustadt; der Klosterneuburger Augustiner-Chorherr Roman Karl Scholz wurde wegen der Gründung einer Widerstandsgruppe hingerichtet; die Mostviertlerin Helene Gruber wurde 1946 wegen angeblicher Spionage zu einer Haftstrafe verurteilt, 1951 entließ man sie aus dem Zwangsarbeitslager in der Sowjetunion, erst 1960 durfte sie nach Österreich zurückkehren.
Das Buch ist Band 9 der Reihe „Nationalsozialismus in den österreichischen Bundesländern“, erschienen im Studienverlag. „Leicht verständlich und wissenschaftlich fundiert erzählt – vor allem für junge LeserInnen, aber auch für interessierte Erwachsene“, so der Verlag.
Die große Geschichte im kleinen Raum erzählen. „Die Berichte über Verfolger und Verfolgte, über Gewalt und über Menschlichkeit, die sich an vertrauten Orten ereigneten und welche von Menschen handeln, die vielleicht vertraute Namen tragen, erleichtern die Annäherung an die nur schwer fassbare Geschichte einer mörderisch ausgrenzenden ‚Volksgemeinschaft‘, einer vom rassistischen Überheblichkeitswahn getragenen Eroberungspolitik und von Völkermord“, erklären Reihenherausgeber Horst Schreiber und Werner Dreier von erinnern.at. Am Konkreten lasse sich zeigen, welche Hoffnungen und Erwartungen in die großartige völkische Zukunft gesetzt wurden, aber auch wie jämmerlich und von exzessiver Gewalt begleitet das Ende des Tausendjährigen Wahns war.
Eminger, Langthaler und Mulley berichten über Begeisterte und Angepasste, von Menschen, die zu Opfern und solchen, die zu Tätern wurden. Das Buch gibt oft Anlass zum Nachdenken: Emmy Mahler aus Gmünd, konfrontiert mit Nachbarn, die sie in ihrer Wohnung überfielen und beraubten, weil sie sich als „Volksgenossen“ ein Recht zur Ausplünderung der jüdischen Familie nahmen: „Es waren Leute wie ich. Heute sind sie wilde Tiere. Ich habe Angst vor jedem Einzelnen von ihnen.“ Warum die drei Autoren diese Geschichten erzählen? Vielleicht wollten sie damit auch beitragen, dass niemand mehr Angst vor den Nachbarn zu haben braucht.