1955: Der lange Weg zum Staatsvertrag. Die Ereignisse
1943
30. Oktober 1943:
Die „Moskauer Deklaration“ wird formuliert. Die Außenminister Anthony Eden (Großbritannien), Cordell Hull (USA) und Wjatscheslaw Molotow (UdSSR) halten fest: Österreich soll nach Krieg als unabhängiger Staat wiederhergestellt werden. Österreich wird Verantwortung für die Teilnahme am Krieg beigemessen. Man stellt zudem fest, dass Österreich auch danach beurteilt werden wird, „wieviel es selbst zu seiner Befreiung beigetragen haben wird“.
1. November 1943:
Die „Moskauer Deklaration“ wird veröffentlicht.

Hull, Molotow und Eden (v. r. n. l.) unterzeichnen die „Moskauer Deklaration“.
1946
11. Dezember 1946:
Die Außenminister der vier Siegermächte des Zweiten Weltkriegs (Rat der Außenminister) einigen sich in New York: zur Vorbereitung des Friedensvertrages mit Deutschland und des Vertrages mit Österreich wird jede Macht ein Verhandlungsteam aufstellen – die Sonderbeauftragten. Diese sollen im Jänner/Februar des nächsten Jahres zusammentreten.
1947
14. Jänner 1947:
Die Sonderbeauftragten für den Friedensvertrag mit Deutschland und den Staatsvertrag mit Österreich treten in London erstmals zusammen. Die Konferenz dauert bis 25. Februar und besteht aus 29 Sitzungen.
16. Jänner 1947:
Erste Tagung der Sonderbeauftragten, die für den österreichischen Staatsvertrag zuständig sind.
30. Jänner 1947:
Rede von Bundeskanzler Leopold Figl vor den Sonderbeauftragten. Er lehnt jegliche jugoslawische Forderung nach der Abtretung von Gebieten in Südkärnten und der Südsteiermark ab. Auch Reparationszahlungen werde und könne Österreich nicht leisten. Die Sowjets unterstützen die Begehrlichkeiten des jugoslawischen Staatschefs Tito.

Bundeskanzler Leopold Figl, 1947.
5. Juni 1947:
US-Außenminister George Marshall kündigt ein wirtschaftliches Hilfsprogramm (ERP/“Marshall-Plan“) für Europa an.
24. Juni 1947:
Die Österreichische Bundesregierung erklärt ihr Interesse am „Marshall-Plan“.
September 1947:
Unter sowjetischer Regie wird die Kominform als Antwort auf den „Marshall-Plan“ gegründet. Es handelt sich um die Vereinigung der meisten ost- und westeuropäischen Kommunistischen Parteien.
1948
25. Februar 1948:
Putsch der Kommunistischen Partei in der Tschechoslowakei. Alle nicht-kommunistischen Minister müssen die Regierung verlassen. Eine KP-Diktatur („Volksdemokratie“) wird errichtet.

Machtübernahme der Kommunisten in Prag. Arbeitermiliz auf der Karlsbrücke, 25. Februar 1948.
In Polen und Ungarn sind ähnliche Entwicklungen im Gang, die Zerstörung der Demokratie dauert lediglich etwas länger.
20. Februar bis 6. Mai 1948:
Verhandlungen der Sonderbeauftragten um den Österreichischen Staatsvertrag.
Die Verschärfung des Konfliktes zwischen der Sowjetunion und den Westmächten belastet die Gespräche schwer. Die Sowjets zeigen sich über einen Abzug aus Österreich verhandlungsbereit. Sie würden von einem Abzug der Westmächte aus dem Westen Österreichs mehr profitieren als umgekehrt.
Moskau unterstützt weiterhin die jugoslawischen Forderungen gegen Österreich.
März 1948:
Austritt der UdSSR aus dem Alliierten Kontrollrat für Deutschland
Aufnahme der britischen und amerikanischen Besatzungszonen Deutschlands in die Marshall-Plan-Hilfe
6. Mai 1948:
Die Westmächte brechen die Verhandlungen der Sonderbeauftragten ab.
24. Juni 1948:
Die Sowjets legen die westlichen Sektoren Berlins unter Blockade als Antwort auf die Einbeziehung Berlins in die (west)deutsche Währungsreform.
Ende Juni 1948:
Bruch zwischen Tito und Stalin
Österreich erkennt die Chance, dass die Sowjetunion die jugoslawischen Forderungen nicht mehr unterstützen würde. Die Republik ersucht um eine weitere Verhandlungsrunde der Sonderbeauftragten.
2. Juli 1948:
Österreich unterzeichnet das „Marshall-Plan“-Abkommen mit USA, die Sowjets sind verstimmt.

Eröffnung der Blockwalzstraße im Stahlwerk Donawitz. Der Wiederaufbau der Produktion war mit Hilfe von Marshall-Plan-Geldern erfolgt, Herbst 1950.
1949
9. Februar bis 10. Mai 1949:
Konferenz der Sonderbeauftragten für den Österreichischen Staatsvertrag. Es sind die Sitzungen 111 bis 163.
4. April 1949:
Gründung der NATO in Washington
23. Mai bis 20. Juni 1949:
6. Session des Rates der Außenminister in Paris: Die Sowjets ziehen ihre Unterstützung der jugoslawischen Forderungen an Österreich zurück. Bezüglich des Deutschen Eigentums gibt es eine grundsätzliche Einigung zwischen den Bestzungsmächten.
20. Juni 1949:
Der Rat der Außenminister verlautbart, der Österreichische Staatsvertrag solle bis zum 1. September 1949 unterschriftsreif gemacht werden.
Bis Oktober 1949:
Der Vertrag ist inhaltlich weitgehend fertig ausgehandelt. Realisiert werden die Ergebnisse nicht, weil die Spannungen zwischen der UdSSR und den USA wieder steigen.
Bis Oktober 1949 wollen die USA die Besatzung Österreichs nicht aufgeben, hernach sind sie bereit dazu.
Bis Oktober 1949 ist die UdSSR bereit, die Besatzung aufzugeben, dann nicht mehr.
24. Oktober 1949:
Direktive des Politbüros (von Stalin selbst redigiert) an die sowjetischen Verhandler, den Vertrag nicht abzuschließen, sondern stattdessen die Verhandlungen zu verschleppen.
26. Oktober 1949:
US-Präsident Truman entscheidet endlich klar für den Abschluss des Staatsvertrags.
Hauptgrund: Die Situation in und um Jugoslawien. Wenn die Westmächte aus Österreich abziehen, müsste auch die UdSSR dies tun und zudem auch aus Ungarn und Rumänien abziehen. Das wäre aus westlicher Sicht wünschenswert, weil dadurch Jugoslawien weniger gefährdet wäre. Genau deshalb wollen die Sowjets aber ihre Truppen nicht aus Österreich zurücknehmen.
15. Dezember 1949:
Nach 258 Sitzungen der Sonderbeauftragten für den Staatsvertrag liegt ein Vertragsabschluss noch immer in weiter Ferne.
1950
In London treffen sich die Sonderbeauftragten zu den Sitzungen 247 bis 258. Die Sowjets verschleppen die Gespräche und finden immer neue Themen (Deutsches Eigentum, Triest-Frage), bei denen sie durch Maximalforderungen eine Einigung unmöglich machen.
Juni 1950:
Der Korea-Krieg bricht aus.
1951/52
Keine Verhandlungen
1953
6. Februar bis 9. Februar 1953:
Konferenz der Sonderbeauftragten in London. Man trifft einander zu den Sitzungen 259 und 260.
5. März 1953:
Stalin stirbt. Die Chancen auf eine Entspannung zwischen den Supermächten steigen.

Molotow, Woroschilow, Berija und Malenkow (v. l. n. r.) an Stalins offenem Sarg. Veränderungen stehen bevor. Molotows Einfluss schwindet, Berija wird 1953 erschossen und Malenkow bald darauf entmachtet.
2. April 1953:
Julius Raab löst Leopold Figl als Bundeskanzler ab. Es folgt eine Verbesserung des österreichisch – sowjetischen Verhältnisses.
Die UdSSR trägt nun Besatzungskosten selbst, Frankreich und Großbritannien folgen dem sowjetischen Schwenk. Die USA kommen bereits seit 1947 für die Kosten ihrer Truppen in Österreich auf.
Die Truppenstärke wird von allen vier Mächten reduziert. Mit Ende 1953 stehen noch 15.000 Mann der Westmächte und 40.000 Sowjetsoldaten auf österreichischem Boden.
Sommer 1953:
Der Korea-Krieg endet. Ein Tauwetter zwischen den Großmächten hebt an.
1954
25. Jänner bis 18. Februar 1954:
7. Session des Rats der Außenminister in Berlin. Österreich nimmt erstmals gleichberechtigt an den Verhandlungen teil.
12. Februar 1954:
Dieser ist der erste Tag, der Österreich gewidmet ist. Davor ging es um Deutschland. Außenminister Figl legt den österreichischen Standpunkt dar. Er lehnt die sowjetische Forderung ab, dass nach Unterzeichnung des Österreichischen Staatsvertrags Besatzungstruppen bis zur Unterzeichnung eines Friedenvertrags mit Deutschland in Österreich verbleiben sollen. Die Verhandlungen sind somit gescheitert.
1955
8. Februar 1955:
Chruschtschow wird Generalsekretär der KPdSU, Bulganin Ministerpräsident. Dies bedeutet eine Schwächung von Außenminister Molotow. Es gibt eine Wende in der sowjetischen Außenpolitik.
8. Februar 1955:
Rede Molotows vor dem Obersten Sowjet. Wenn die Sowjets nicht aus Österreich abziehen, werde eventuell der Westen Österreichs an Deutschland angeschlossen oder auf andere Art in die NATO eingebunden. Molotow sagt auch: Österreich solle keine Militärbündnisse eingehen und keine Militärbasen auf seinem Territorium zulassen.
Österreich sagt das in den darauffolgenden Wochen zu.
24. März 1955:
Die österreichische Regierung wird zu Verhandlungen nach Moskau eingeladen.
11. April 1955:
Die österreichische Delegation (Raab, Figl, Schärf, Kreisky) fliegt in Bad Vöslau ab nach Moskau.
12. April bis 15. April 1955:
Die Verhandlungen verlaufen konstruktiv. Die heiklen Punkte werden im Prinzip gelöst: Österreich muss sich zu einer Neutralität nach dem Muster der Schweiz verpflichten. Die DDSG, die USIA-Betriebe und das restliche Deutsche Eigentum fallen an Österreich zurück, allerdings sind die Ablösen hoch bemessen. Österreich kauft sich frei.
Die Österreicher sprechen in Moskau auch mit den Botschaftern der Westmächte, um den Eindruck zu vermeiden, man verhandle hinter deren Rücken.
15. April 1955:
Die Ergebnisse der sowjetisch-österreichischen Verhandlungen werden als „Moskauer Memorandum“ unterzeichnet.

Rückkehr nach erfolgreichen Verhandlungen, Außenminister Figl, Staatssekretär Kreisky, Vizekanzler Schärf und Bundeskanzler Raab (v.l.n.r.), Vöslau 15. April 1955.
2. bis 13. Mai 1955:
Botschafterkonferenz im Haus der Industrie: Die Botschafter der vier Besatzungsmächte und Vertreter der österreichischen Regierung verhandeln die Endfassung des Staatsvertrages aus. Sowjetische Forderungen nach Ölfeldern und Schürfrechten, die in ihrem Eigentum verbleiben sollen, werden abgewehrt oder heruntergehandelt.
14. Mai 1955:
Die Außenminister der vier Mächte stimmen dem Ergebnis der Konferenz zu.
15. Mai 1955:
Der Österreichische Staatsvertrag wird unterzeichnet.

Leopold Figl zeigt der wartenden Menschenmenge den unterzeichneten Staatsvertrag.
August 1945
27. Juli 1955:
Der Staatsvertrag tritt offiziell in Kraft.
19. September 1955:
Der letzter Sowjetsoldat verlässt Österreich.

Abschiedsparade der Sowjetarmee in Amstetten, 1. September 1955.
25. Oktober 1955:
Die letzten Besatzungssoldaten (Briten) ziehen offiziell ab.
26. Oktober 1955:
Der Nationalrat beschließt das Neutralitätsgesetz. Österreich erklärt „aus freien Stücken seine immerwährende Neutralität“.